Vielleicht die wichtigste Voraussetzung für Nietzsches Bewertung der wissenschaftlichen Erkenntnis ist sein im Hintergrund gehaltenes Axiom, dass wir verachten, was wir durchschauen. Die Enthüllung führt nicht in die Tiefe der Dinge, sondern nur an eine andere Oberfläche, die für das Letzte genommen wird, weil sie zugleich den Weg zu Weiterem versperrt. Die nackte Wahrheit enttäuscht. Weil sie nackt ist, hat sie keine Ausrede und keinen Vorbehalt mehr an dem, was sie noch verbergen könnte. Die wissenschaftliche Erklärung, ans Ziel gekommen, bestimmt sich immer wieder durch diese metaphorische Situation: Wir verachten alles, was sich erklären lässt. Irgend eine Dummheit hat sich überraschen lassen und stand nackend da vor ihrem Erklärer.

Quelle: Hans Blumenberg: Die nackte Wahrheit