Von Ralf Keuper
In den letzten Monaten haben sich zahlreiche Artikel mit der Bedeutung der „Schwarzen Hefte“ für die weitere Rezeption von Martin Heidegger und seiner Philosophie auseinandergesetzt. Im Anschluss nun eine (subjektive) Auswahl von Beiträgen, aus der Zeit vor und nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte.
Es versteht von selbst, dass die Auswahl keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Persönlich halte ich die Philosophie Heideggers für kompromittiert.
Beiträge, die sich lange vor der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte kritisch mit der Person und der Philosophie Heideggers auseinandergesetzt haben:
- Spiegel im Jahr 1966 Mitternacht einer Weltnacht
- Spiegel im Jahr 1986 Martin Heideggers politischer Irrtum von 1933 war gravierender, als er die Welt glauben machen wollte.
- Die Zeit im Jahr 1953: Wie liest man 1953 Sätze von 1935? Zu einem politischen Streit um Heideggers Metaphysik
- Tom Rockmore On Heidegger’s Nazism and Philosophy
- Die Zeit 1989: Noch einmal: Heidegger und der Nationalsozialismus
- Das Sein ohne Juden: Über Martin Heidegger
- Heideggers „Engagement“: Eine Erinnerung
- Heidegger im Kontext. Gesamtüberblick zum NS-Engagement der Universitätsphilosophen
Beiträge, wonach die Philosophie Heideggers auch nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte noch einige Gültigkeit hat bzw. in denen die Autoren die Ansicht vertreten, dass die Heidegger-Forschung neu betrieben werden muss:
- “Herrlich volklicher Wille.” Was zeigt sich in Heideggers “Schwarzen Heften”?
- Wo „Geschick“ waltet, darf keine Schuld sein
- Martin Heidegger und seine Gesamtausgabe: Die letzte Hand des Zauberers
- Martin Heideggers «Schwarze Hefte» aus den Jahren 1942 bis 1948. Ressentiments, Selbstgerechtigkeit, Ignoranz
- Religion ohne Gott – Interview mit Rüdiger Safranski
- Acht Tatsachen widerlegen seinen angeblichen Antisemitismus
- Alles muss jetzt neu gelesen werden: Eine weitere Freiburger Tagung zu Heideggers Schwarzen Heften
- Sammelrezension: Beiträge zur neuen Heidegger-Debatte
Beiträge, die im Kern dafür plädieren, dass die Trennung von Werk und Person, von Ideologie und Philosophie nicht (mehr) aufrecht erhalten werden können (Eine Position, die ich inhaltlich teile)
- Heidegger und der Nationalsozialismus
- Martin Heidegger. Der konsequenteste Philosoph des 20. Jahrhunderts
- Heidegger – ein Nazi. Aktuelle Diskussion in Paris, Januar 2015
- Carl Schmitt und Martin Heidegger kamen den Nazis nicht nur aus Opportunismus nahe. Ihre amoralische Philosophie weist Berührungspunkte mit der NS-Ideologie auf (Vittorio Hösle)
- Der Philosoph, das Wesen und der Nationalsozialismus – Interview mit Rainer Marten
- „So denkt man nicht, wenn man Philosophie treibt“
- Der Fall Martin Heidegger, Philosoph und Nazi
- Martin Heidegger: Die Alliierten – schlimmer als Hitler?
- Heidegger hielt Endlösung für notwendig – Interview mit Richard Wolin
- Er hielt die Nazis für unumgänglich
- Holocaust als „Selbstvernichtung der Juden“
- Es denkt ja keiner mehr
- Seine Katastrophe – Voller Selbstmitleid und Ressentiments: In den „Schwarzen Heften“ (1942-1948) wettert der Philosoph gegen Juden, Christentum und Demokratie.
- Die „Reinigung des Seyns“ Martin Heideggers „Anmerkungen“ aus den Jahren 1942 bis 1948 zeigen seinen Antisemitismus. Er spricht erstmals auch direkt über Konzentrationslager.
- Die Geste und der Schmutz: Warum sollte die Philosophie vom größten Horror des 20. Jahrhunderts unberührt geblieben sein? Ein Beitrag zur Debatte.
- Schein und Zeit
- Heidegger war der braunere Nazi
- Heideggers Schwarze Hefte: Das vergiftete Erbe
- Begeistert von Hitler / Unveröffentlichter Briefwechsel zwischen den Heidegger-Brüdern liefert Belege für frühzeitiges NS-Engagement – „Mein Kampf“ als Lektüre-Tipp
- Martin Heideggers „Schwarze Hefte“ in der Kritik – Internationale Tagung an der Uni Siegen
- Sehnsucht nach etwas Festem. Die Kritik an Heidegger entbindet nicht von der Auseinandersetzung mit seinen aktuellen Adepten und ihrem Jargon
- Faye über Heidegger: Martin Heidegger und die Nazis
- Zwischenruf aus dem Herz der Finsternis
- Soziologische Studien helfen dabei, die antisemitischen Symbole der ‚Seyns‘-Philosophie Martin Heideggers zu entschlüsseln
- Züchtung des Heideggerianers: Interview mit Philosophen Reinhard Mehring über die Aufregung um die Schwarzen Hefte
- Der gleiche Fall von Megalomanie wie bei seinem Vorbild Adolf Hitler
- Mit Heidegger auf dem Holzweg. Eine Freiburger Tagung beschäftigte sich mit dem Philosophen.
- DIE ZEIT veröffentlicht erstmals die Briefe Martin Heideggers an seinen Bruder Fritz. Sie zeigen, wie überzeugt der Philosoph vom Nationalsozialismus war.
- Karl Jaspers‘ Briefwechsel zeigen einen moralisch integren Denker – und sie lassen noch tiefer in die Abgründe Martin Heideggers blicken
- Ontologischer Faschismus
- Das alte Denken der neuen Rechten. Mit Heidegger und Evola gegen die offene Gesellschaft
- Philosopher Martin Heidegger Spent Years Trying To Convince His Brother To Become A Nazi
- Heideggers Fall
- Heidegger, the homesick philosopher
- Martin Heidegger und die Nazis
Beiträge, die sich kritisch mit der Rolle der Familie Heidegger im Zuge der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte sowie der Herausgabe des Nachlasses beschäftigen:
- Wie die Familie des Philosophen jahrzehntelang versuchte, das Image des umstrittenen Denkers zu kontrollieren und kritische Stimmen klein zu halten
- Heidegger und der Nationalsozialismus: Erben verwischen antisemitische Spuren
- Grenzen der Heidegger Forschung
- Was heißt „N.soz“?
- Im weiteren Zusammenhang aus dem Jahr 1974: Der Frankfurter Verlag Vittorio Klostermann will im nächsten Jahr mit der Gesamtausgabe der Werke Heideggers beginnen.
- Heidegger-Experte von Herrmann will Philosophie-Professor Trawny die Herausgeberschaft der „Schwarzen Hefte“ entziehen
- In einem scharfen Angriff auf den Herausgeber der „Schwarzen Hefte“, Peter Trawny, geht es erneut an die Substanz
- Hermann Heidegger und das „Zeit“-Feuilleton haben sich verirrt
- Thomas Meyer: Heideggers Verwandlung Süddeutsche Zeitung 8.12.2020
- To Sanitize the Master’s Corpus: On the Heidegger Hoax
Über das Interview des Spiegel mit Martin Heidegger:
- Heideggers „Spiegel“-Interview. Das Ungeheuerliche beschweigen
- „Der Spiegel“ und Martin Heidegger „Mitschnitt mit devoten Floskeln“
- Heideggers „Spiegel“-Interview: Hundert Minuten Hüttenzauber
- Lutz Hachmeister, Heideggers Testament: Der Philosoph, der Spiegel und die SS
Schriftsteller, Philosophen, Denker und Autoren, die sich kritisch über Heidegger geäußert haben:
Lange vor den Diktatoren hat unsere Zeit die geistige Diktatorenverehrung hervorgebracht. Siehe George. Dann auch Kraus und Freud, Adler und Jung. Nimm noch Klages und Heidegger hinzu. Das Gemeinsame ist wohl ein Bedürfnis nach Herrschaft und Führerschaft, nach dem Wesen des Heilands.
Thomas Meyer in der SZ vom 21./22.03.2015
Nein, Heidegger hat sich gerade dort unter Kontrolle, wo er Perversitäten mit der Lockerheit des Denkers ausspricht. Denn sie stehen übergangslos neben den sich unerschüttert gebenden Einsichten. „Anders wäre inmitten der rasenden Vernichtungsmöglichkeiten von allem die nur in einer einzigen Niederschrift verwahrte Bemühung des Denkens auf das Äußerste gefährdet“. Die „Anmerkungen“ sind vielmehr der vollständige Zusammenfall und Zusammenbruch von Autobiografie und Denken.
Marion Heinz in einem Interview mit der ZEIT:
Es kann ja nicht sein, dass man Heidegger für unverzichtbar hält, bloß weil wir jemanden brauchen, der uns auf die Gefahren unserer Zeit aufmerksam macht. Die ernsthafte Auseinandersetzung über den Wert von Heideggers Denken und darüber, was nun, nach der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte, von der weithin behaupteten Weltgeltung bleibt, steht erst am Anfang.
Hätte ein Philosoph aber nicht Anlaß, sich darauf zu besinnen, ob es Menschenrechte gebe – ein zu verteidigendes Recht auf Leben, auf Glaubensfreiheit und so fort?
Karl Popper:
I appeal to the philosophers of all countries to unite and never again mention Heidegger or talk to another philosopher who defends Heidegger. This man was a devil. I mean, he behaved like a devil to his beloved teacher, and he has a devilish influence on Germany. … One has to read Heidegger in the original to see what a swindler he was.
Leszek Kolakowski:
Was immer die Erklärung ist, man kann überzeugt sein, dass jede religiöse oder soziale Bewegung, mag sie auch den aggressivsten Anti-Intellektualismus predigen, begeisterte Unterstützung durch einige Intellektuelle finden wird, die in der bürgerlichen Zivilisation des Westens groß geworden sind und deren Werte ostentativ verwerfen, um sich der Herrlichkeit gesunder Barbarei zu beugen (in: Leben trotz Geschichte)
Er kann jemandem durch sein Talent in Erfindung von Ausdrucksweisen philosophische Erfahrung verschaffen. Er kann auch verführen. Ich bin überzeugt, daß Heidegger Macht lieber hat als Wahrheit für Freiheit. … Wenn ich sage, daß Heidegger die Macht lieber hat als die philosophische Wahrheit, sage ich etwas ganz Schlimmes. Verstehen Sie das?
Raymond Klibansky:
Es handelt sich vielleicht um einen der schwerwiegendsten Fälle, weil er als Philosoph, dessen eigenwilliges Denken die Grundlagen des modernen Denkens umstürzen wollte, großen Einfluss hatte. 1929 erlebte ich seinen Vortrag „Was ist Metaphyisk?“ mit. Ich war über die Mischung von wirklicher und scheinbarer Tiefe und über die Ungeniertheit verblüfft, mit der er am Ende dem griechischen Text des Phaidros von Platon antat, um seine These über Philosophie und Existenz zu untermauern.(in: Gespräche mit Georges Leroux)
Heidegger finde ich seit 22 Jahren immer wieder greulich und werde nun wohl dabei bleiben. Er ist die Gegenwelt zu Goethe und allem, was ich liebe … Ein nicht abreissender Strom von Franzosen pilgert zu ihm; er spricht sein Abraxas mit ihnen und sie steigen, wie mir diese Woche zwei Zeugen versicherten, sogleich ein auf ihn; aber die Sprache ist nur eines der Verständigungsmittel. Sie wittern einander und fühlen sich einig von den Dunkelzonen des Sonngeflechts her.
Das Denken ist nur dann Denken im Heideggerschen Sinne, wenn es in der Antwortlosigkeit verharrt. Für mich steckt darin dann doch ein gewisser…“Nihilismus“. Dieser führt dazu, daß der so antwortlos Denkende dann auch im Politischen der Verantwortung ausweicht. Das wollte Heidegger nicht und hat es letzten Endes doch getan.
Wenn schon „Einblick in das was ist“, dann auch in Heideggers Feigheit, verantwortlich zu sein
Ich bin aufgewachsen in einem Umkreis von jüdischen Emigranten, die Heidegger-Schüler waren und die so getan haben, als könnte man sein Werk von seiner Person trennen …
Der C. H. Beck Verlag hat mir nahegelegt, ein Buch über „Sein und Zeit“ zu schreiben. Aber das täte ihm zu viel Ehre an. Nicht nur die Art, wie er sich in der Nazizeit verhalten hat, sondern auch, wie er sich geäußert hat nach 1945 – schrecklich. Ich glaube, dass er etwas Verlogenes hatte. Menschlich-politisch allemal, aber auch im Philosophischen.
Also ich würde sagen, bei Heidegger ist ein Antisemitismus auch mit seiner Philosophie verbunden, bei Grass ist sein Waffen-SS-Dabeisein nicht verbunden mit seinen Büchern.
Gordon A. Craig:
Zu der Flut neuer Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung in den ersten Tagen nach Hitlers Machtantritt, den sogenannten „Märzgefallenen – gehörte auch die Mehrzahl der Lehrstuhlinhaber und Intellektuellen, und diese Leute trieben den professoralen Stil in dem Bemühen, das neue Regime zu rechtfertigen und es als in Deutschlands Geschichte und kultureller Tradition wurzelnd darzustellen, auf neue Höhen der Komplexität. Bei dieser Übung spielte der Philosoph Martin Heidegger eine Starrolle, indem er verkündete, Hitler und das deutsche Volk seien durch Fügung aneinander gebunden und „geführt von der Unerbittlichkeit jenes geistigen Auftrags, der das Schicksal des deutschen Volkes in das Gepräge seiner Geschichte zwingt“. … Alfred Rosenberg, der Philosoph der Bewegung wetterte gegen Leute, die „auf rein logischem Wege (fortschreiten), indem sie von Axiomen des Verstandes weiter und weiter schließen“. Man musste den „ganzen blutlosen intellektualistischen Schutthaufen rein schematischer Systeme loswerden“. Damit war Hitler sehr einverstanden. Seiner Ansicht nach war es nicht Pflicht guter Deutscher, Situationen zu analysieren und dann überlegt zu handeln. Sie sollten „fühlen“, „die Stimme des Blutes hören“, den „Schicksalsrausch“ empfinden (ein von Heidegger geprägter Begriff) und dann mit „Härte und „Fanatismus“ handeln, wie ihr Führer es befahl. (in: Über die Deutschen)
Der Dichter der „Buddenbrooks“ nennt zum Beispiel im April 1944 Heidegger einen „Nazi par existence“, also gerade nicht „par excellence“, sondern qua seines Soseins. Des weiteren bezichtigt er ihn der Eigenschaft, ein „krimineller Sprachschänder“ zu sein, was gleich an Heideggers Wort von der „Jemeinigkeit“ exemplifiziert wird. „Jemeinigkeit! Zuerst hielt ich es für einen Berolinismus, der mit ,gemein‘ zu tun habe. Und das hat es denn ja auch.“
Vom Eingang zur völlig überfüllten Halle des Audimax aus gesehen wirkte der kleine Mann noch kleiner. Ich hörte seinen getragenen, pausenreichen Singsang, aber ich verstand ihn nicht, wollte ihn auch nicht verstehen. Ich mochte die andachtsvolle Stille nicht, mochte seine substantivierten Verben und Adverbien nicht, mochte die priesterliche Tonart seines Vortrags nicht. Ich hatte das Gefühl, dass von mir, von jedem Zuhörer ein Unterwerfungsakt gefordert war; dass man sich kniefällig dem Neusprech dieses deutschen Geistesfürsten nähern musste, um zu dem erlesenen Kreis derer zu gehören, die mit leuchtenden Augen behaupteten, ihn zu verstehen.
Obwohl ich – vor allem, weil er sich nie nach uns, seinem vorbeischlurfenden Nachbarn, umgedreht hatte – für jeden Einwand gegen Heidegger aufgeschlossen war, habe ich während meiner Studienzeit in Freiburg niemanden getroffen, der mich auf Heideggers Freiburger Rektoratsrede von 1933 und seine begeisterte Begrüßung des Naziregimes aufmerksam gemacht hätte. Ich fand nur Heidegger-Jünger, frisch Erweckte, die bereit waren, ihm auf seinen „Holzwegen“ zu folgen. (in: Rebellion und Wahn. Mein ’68)
Viele französische Philosophen haben leider keine Ahnung, die können sich nicht einmal einen „Strammen Max“ bestellen. Wie sollen sie da beurteilen können, was der Heidegger aufgetischt hat oder nicht. Ich habe den Eindruck, daß die Franzosen von den Deutschen angezogen werden, irrtümlicherweise, durch diese metaphysische Behäbigkeit, diesen Schwulst. Ende des 19. Jahrhunderts fingen die Deutschen an, sich exklusiv zu gebärden. Die deutsche Sprache als Ursprache, als einzige überhaupt, und dann wurde es rassistisch.
Heidegger in der Literatur und Musik:
- Günter Grass, Heidegger und Meßkirch
- „Alte Meister – Komödie“ von Thomas Bernhard
- Eine weitere literarische Heidegger-Kritik
- Thomas Bernhard on Martin Heidegger from Old Masters – English Translation
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- Dichtung und Lichtung. Elfriede Jelinek und Martin Heidegger
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