Glücklicherweise ist die Idee eines neuen Mitteleuropas nicht nur eine Versicherung der Vergangenheit. Sie ist auch, vielleicht in erster Linie, eine Versicherung der Gegenwart. Vereinfacht gesagt heisst das, die unabhängigen Intellektuellen aus der heutigen mitteleuropäischen Welt haben entdeckt, dass sie zu ähnlichen Ansichten, Ideen und Werten gefunden haben – obwohl sie das meist erst dann entdecken, wenn sie westlichen Intellektuellen in Paris, New York oder Kalifornien begegnen. Auch darin ähneln sie sich. Sicher ist, dass ihre vergleichbaren Ansichten mit vergleichbaren Erfahrungen in der mitteleuropäischen Geschichte zu tun haben – als kleine Nationen unter dem Kuratel von großen Reichen hat ihre Intelligenz gleichermaßen Traditionen des zivilen Ungehorsams entwickelt und jenen Hang zur Ironie, der aus einem Leben der ständigen Niederlagen erwächst. Aber vor allem ist ihnen die einzigartige Erfahrung eines Lebens im sowjetischen Machtbereich nach Jalta gemein. Sie sind sozusagen die Europäer, die wirklich wissen, worum es geht. Und wir könnten von ihnen lernen, wenn wir nur bereit wären, ihnen zuzuhören. Mitteleuropa ist keine Region wie Mittelamerika, deren Grenzen auf der Landkarte zu suchen sind. Mitteleuropa ist ein Königreich des Geistes.

Quelle: Aus den Zentren Mitteleuropas 1980-1990