Von Ralf Keuper

In seinem Buch Mythos und Logik im 21. Jahrhundert. Eine Auseinandersetzung mit der neuen Naturwissenschaft, Literatur, Kunst und Philosophie untersuchte der Literaturwissenschaftler Michael Hochgesang die nicht immer glückliche Beziehung mythischer Weltbilder mit der Logik. Auf seinem Streifzug durch die verschiedenen Disziplinen, wie der Quantentheorie, der Existenzphilosophie und der Tiefenpsychologie, versucht Hochgesang zwischen den beiden oft so gegensätzlichen Sphären zu vermitteln, ohne jedoch die Rationalität, die Logik gegen mythische Spekulationen, oder Esoterik einzutauschen.

Bereits zu Beginn stellt Hochgesang sein Programm vor:

Logisches Denken, das sich an Vorstellungen vollzieht, z.B. beim Lösen technischer Probleme, darf nicht, …, mit dem Denken in Vorstellungen, dem anschaulichen Denken verwechselt werden. … Insbesondere die künstlerische Schöpfung vollzieht sich in solchem Bereich eines Denkens, bei dem das Logische eingesenkt ist in den Mutterboden des Anschaulichen und des Sprachlichen. Wenn man schöpferisches Denken als hyperlogisch (überlogisch) bezeichnet, wie das in der Psychologie geschehen ist, so wird damit sein eigentliches Wesen verfehlt. Mag auch beim schöpferischen Denken des modernen Menschen eine Entwicklung der Intelligenz durch logisches Denken vorausgegangen sein, so behält diese Intelligenz doch immer den Zugang zum Vorlogischen (Prälogischen) und darf ihn nie verlieren. Das Prälogische ist kein überwundener geschichtlicher Zustand, es ist immer noch und immer wieder der Mutterboden schöpferischen Gestaltens.

Mit dieser Position bewegt sich Hochgesang diametral zu der von Georg Oesterdiekhoff.

Wer nach diesen Zeilen geglaubt hat, Hochgesang hätte eine besondere Vorliebe für die Tiefenpsychologie oder die Existenzphilosophie, irrt. Beiden Richtungen kann Hochgesang nur wenig abgewinnen.

Zur Tiefenpsychologie:

Demgegenüber kommt es darauf an zu erkennen, dass Unbewusstes und Bewusstes, Bild und Begriff, mythisches und logisches Denken ihre Kräfte und ihre Rechte aus den gleichen Wurzeln menschlicher Existenz ableiten, dass sie nicht wie Feinde sich bekämpfen, die aus verschiedenen Richtungen kommen, der eine von unten, der andere von oben, sondern dass sie auseinander erwachsen sind.

Über Heideggers Existenzphilosophie:

Die Anschauung der Weiträumigkeit, die Heidegger herbeiholt, um das Nichts zu charakterisieren, enthält die ganze Paradoxie von Heideggers später Philosophie. Da nach Heidegger gilt: “Urteilen ist: richtiges Vorstellen”, kann seine Philosophie sich nicht mit Begriffen und Schlüssen begnügen; sie braucht Vorstellungen. Andererseits aber bleibt sie der philosophischen abendländischen Tradition stark verhaftet, die im Denken in Begriffen und Schlüssen die Überlegenheit gegenüber dem Mythos begründet sieht. Heideggers Philosophie verwendet die aus ihren logischen Ordnungen gerissenen abstrakten Begriffe, deren Begrifflichkeit sie verleugnet, und sucht sie mit sprachlichen und stilistischen Mitteln zu mythischen Realitäten zu verzaubern.

Über Jaspers’ Existenzphilosophie:

Das ‘Umgreifende’ und das ‘Umgreifende alles Umgreifenden’, diese beiden obersten Begriffe von Japsers’ Philosophie sind anschaulich nur aus Verlegenheit; sie sollen das absolut Ungegenständliche und Unanschauliche bezeichnen. Ein Turner, der vom Boden zur Reckstange springt, weil er glaubt, sie sei fest genug, sich daran zu halten, fällt, falls seine Überzeugung irrig ist oder falls er sie gar gedankenloserweise selbst lose gemacht hat, zur Erde zurück. Jaspers ist der Denker, der als Existenzialphilosoph mit beigetragen hat, die Reckstange des rationalen Denkens lose zu machen.

Gegen Ende kommt Hochgesang auf seine einführenden Gedanken zurück:

Der Mensch muss lernen, dass ‘Erkenntnis’ intellektueller Art niemals der Sinn seines Daseins sein kann. Unser Denken muss aus einer Emanzipation zum herrschenden und kalt führenden Organ unseren Wesens zurückgeholt werden zur Mitte, es muss sich wieder einordnen in seinen mythischen Grund, in unser leib-seelisches Dasein. … Der Mensch soll daher nicht nach der absoluten Wahrheit verlangen, die ihm immer vorenthalten sein wird, er soll streben, wahrhaftig zu sein und weise zu werden.  .. Wenn er etwas Höheres denken will, als er selbst ist, kann er nur von der Ganzheit der menschlichen Person ausgehen. Jede Verabsolutierung von Teilkräften seines Wesens ist schon im Ansatz bruchstückhaft. … Der Mensch kann Gott nur bildhaft denken. Aber er soll dieses Bild nicht zum Götzen machen, er muss es immer wieder aufheben, verwerfen, weil Gott nicht in irgendein bestimmtes Bild eingehen darf. .. Ob man diese übergeordnete, handelnde, fühlende und sprechende Gestalt, auch auf Gestalt und Sprache kommt es an, diesen Gott, dessen Ebenbild der Mensch ist, als menschliche Schöpfung, als ein aus menschlichem Denken und Phantasieren entstandenes Produkt auffasst oder umgekehrt, den Menschen als Schöpfung Gottes und seine Vorstellung von Gott eine offenbare Vorstellung, ist freilich dann nicht mehr eine Frage der Überlegung, weil hier nur der Glaube entscheidet.

Weitere Informationen:

Hochgesang, Michael: Mythos und Logik im 20. Jahrhundert – Rezension in der FAZ  

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