Der Historiker Jürgen Osterhammel sorgte mit seinem monumentalen Werk Die Verwandlung der Welt vor einigen Jahren für einiges Aufsehen in der Fachwelt. Auf gut 1.500 Seiten beschreibt er das 19. Jahrhundert, das für ihn im Wesentlichen ein europäisches und der Beginn der Globalisierung ist. Im einem Interview der Serie Sternstunde Philosophie des Schweizer Fernsehens, das er mit Roger de Weck führte, ging er näher auf die Thesen seines Buches ein. 

Gemäß des von dem Historiker Reinhart Koselleck geprägten Begriffs der „Sattelzeit“, markiert das 19. Jahrhundert ein verändertes Verhältnis zur Geschichte: Waren es bis dahin singuläre Geschichten, die sich in den Weltregionen unabhängig voneinander bildeten, so entstand nun eine einzige Geschichte, die jetzt auch eine Richtung bekam. 
Im weitaus stärken Ausmass als heute war das 19. Jahrhundert von Migration geprägt, man denke nur an die USA und Australien, Länder, die neben weiteren, wie Chile und Argentinien, einen neuen Gesellschaftstyp begründeten. Die heute verbreitete Furcht vor wachsenden Migrationsbewegungen hält Osterhammel daher für unbegründet. 

Im Westen wurde und wird Geschichte als Transformationsprozess aufgefasst, wogegen im asiatischen Raum Geschichte als Oszillation betrachtet wird. Inzwischen wird in Asien die westliche Interpretation übernommen, wie die Beispiele Japan und China zeigen, wo sich der Fortschrittsglaube Bahn bricht. 
Das 19. Jahrhundert war auch ein Jahrhundert des Imperialismus, das sich bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts erstreckte und dessen Ausläufer bis zum Jahr 1947, der Unabhängigkeit Indiens, reichen. Ganz überwunden ist der Imperialismus auch heute nicht, weshalb es verfrüht ist, sein Verschwinden zu diagnostizieren bzw. zu prognostizieren. 

Das beeindruckendste Beispiel für den Imperialismus des 19. Jahrhunderts ist für Osterhammel, und nicht nur für ihn, das britische Empire. Hier liegt der Fall eines vergleichsweise kleinen Landes vor, das es geschafft hat, weite Teile der Welt unter seine Kontrolle zu bringen, und das nicht immer nur mit militärischer Gewalt. So waren die britischen Kolonien, verwaltungstechnisch gesehen, ein Flickenteppich dezentral agierender staatlicher bzw. halbstaatlicher Organisationen. Auch waren die demokratischen Bemühungen in den Kolonien deutlich höher als im Heimatland Großbritannien. Wesentliche Gründe für den Erfolg des Empires, den er keinesfalls unkritisch sieht, waren neben einem ausgeprägten protestantischen Missionierungseifer, die englische Handelsflotte und die Handelsorganisationen wie die East-India Company. Faktoren, die den Chinesen fehlten, was der Hauptgrund dafür ist, dass China keine imperiale Macht wie Großbritannien war, trotz seines ungleich höheren Potenzials. Weiterer wichtiger Grund laut Osterhammel für den Rückstand Chinas war der fehlende Zugang zu fossilen Brennstoffen. 

Hier ist das 19. Jahrhundert ebenfalls von besonderer Bedeutung, da sich schon damals erste Gedanken dessen regten, was in unserer Zeit mit dem Begriff des „Ökosystems“ ein geläufiger Begriff wurde. So hat Alexander von Humboldt in seinen unzähligen Schriften das Problem der Umweltzerstörung behandelt, ebenso wie einige Vordenker in den USA, wo die ersten Naturparks entstanden. Überhaupt ist das Gebiet der Umweltgeschichte noch unterrepräsentiert. Im asiatischen Raum waren es Länder wie Japan und Indien, wo sich ähnliche Auffassungen von, heute würde man sagen: Nachhaltigkeit, gebildet haben u.a. wie in Indien mit Hilfe deutscher Forstwissenschaftler. 

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