Mit dem Heil der Seele meinen wir die höchste Einheit, zu der all ihre innerlichsten Vollendungen zusammenrinnen, die sie nur mit sich und ihrem Gott abzumachen hat; aber nicht die Einheit eines Begriffes, sondern die eines Zustandes, den wir fühlen, obgleich wir ihn nicht haben, oder vielleicht: den wir in der Form der Sehnsucht nicht weniger fühlen, als wir es in der Form der Erfüllung könnten. …
Alles Äußerliche mit seiner Macht über die Seele muss erst von ihr abfallen, aber indem es abfällt, hat die Seele auch schon ihr Heil gefunden; denn damit fand sie sich selbst: »wer seine Seele verliert, der wird sie gewinnen!«
Eben damit ist auch aller Egoismus abgestreift; denn Egoismus ist immer nur ein Verhältnis der Seele zu ihrer Umgebung, sie erwartet von dieser irgend eine Gewährung, irgend ein Glück, zu dem sie sie ausnutzt.
Jeder Egoismus ist eine Mischung der Seele mit Äusserem, ein Umweg, auf dem sie sich selbst verliert, ein Sich-ergänzen-wollen einer Lücke in ihr, das ihr selbst nicht gelingt.
Die Seele aber, die ganz und gar sie selbst geworden ist, bedarf dessen nicht.
Nirgends in ihrem Umkreis hat sie ein Äußerliches, das ihr Sehnsucht oder Selbstsucht wecken könnte, sondern weil sie überall sich selbst hat und nichts als ihr reinstes Inneres ist, so ist sie überall Verlangen und Erfüllung zugleich.
Daraus versteht man das Gefühl von Freiheit bei allen Handlungen, die wir dem Heil unserer Seele dienen wissen.
Der Mensch ist in dem Maße frei, in dem das Zentrum seines Wesens die Peripherie desselben bestimmt, d. h. wenn unsere einzelnen Gedanken und Entschlüsse, unser Handeln wie unser Leiden, unser eigentliches Ich ausdrücken, unabgelenkt von Kräften, die außerhalb unser liegen.
Nicht dass die Handlung bestimmungslos in der Luft schwebt, macht sie zu einer freien, sondern dass der tiefste Punkt in uns, den wir als unsere Persönlichkeit fühlen, ihr seine Kraft und Färbung hemmungslos aufprägt.
Quelle: Georg Simmel: Vom Heil der Seele