Zu dem Zeitpunkt, an dem die Fassungskraft des einzelnen gegenüber dem Wissensgut des Menschengeschlechts in seiner Gesamtheit immer mehr nachließ, wurde der Mensch auch immer empfänglicher für den dauernden Druck, den das Gesamte auf ihn ausübte: Wie ein Seismograph vermerkt er die beunruhigenden und zumeist unentzifferbaren Wellenzüge, die heute auf dem ganzen Erdball Sekunde für Sekunde ausgestrahlt werden: Nachrichten vom Überfliegen der Polargebiete bis zum Eisenbahnerstreik in Chikago, von Atomversuchen in Sibirien bis zur Entdeckung eines neuen Insektenvertilungsmittels in Texas. Wenn er auch nur für einen Moment sein kleines, individuelles, aber wirkliches, Paradies: die Gleichgültigkeit aufgibt, wir seine Aufmerksamkeit sogleich von tausend technischen, politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen geviertelt, die hinfort größte Aktualität besitzen: Keiner kommt ihm mehr geheuer vor; er ahnt dunkel, dass es kein Betätigungsfeld für den Menschen, keine Wissensgebiete mehr gibt; auch solche nicht, die bisher traditionsgemäß als besonders harmlos galten: die Geschichte, die Genetik oder die Statistik, die es von nun an nicht in sich hätten, in sich in Bezug auf ihn ganz persönlich. Es kann keine Rede mehr davon sein, dass man sich ihnen völlig verschließen könnte; aber Aufmerksamkeit und Zeit, die den einzelnen verbleiben, werden auf schwindelerregende Weise reduziert: bis zur Aufmerksamkeit, wie man sei einer Rundfunkplauderei widmet, und bis zu der Zeit, welche die Lektüre eines Artikels auf der zweiten Seite des Abendblattes in Anspruch nimmt. Die Folge ist, dass es – zahlenmäßig genommen – im Jahre 1950 nirgendwo mehr Leser gibt, die ihr Wissen aus erster Hand beziehen.

Die angenommenen Gewohnheiten haben, wie das so ist, einen Augenblick lang gegen die unvorstellbaren Bedingungen angekämpft, die dem Geist jetzt gestellt werden: Der Stolz, der Wert auf persönliche Überprüfung legt, hat die Unmöglichkeit, sie durchzuführen, eine Zeitlang überlebt. … Das Publikum, in die äußerste Defensive gedrängt, hat mit einem Schlag die Waffen gestreckt bei dem Gedanken an den von jetzt an sternenweiten und unüberbrückbaren Unterschied zwischen seiner Sichtweite und dem Wie eines Phänomens und tappt fortan im dunkeln, es hat mit einem Schlag auf seine letzte Kontrollgewalt, auf seien Rolle als Prüfer verzichtet, es hat sich ergeben damit abgefunden, künftig das sagenhaft graue und alltägliche Leben eines Haustiers zu führen und demütig hinzunehmen, was ihm zuteil wird, ohne Erklärungen zu fordern. …. An den äußerst vorsichtigen, heimtückisch-listigen und von Hemmungen erfüllten Reaktionen, die der Durchschnittsleser heute zeigt, wo keine von der Kritik gelieferten Anhaltspunkte vorliegen, spürt man, dass ihm die Bürgschaft der Spezialisten, auf die er sich instinktiv in allen Dingen beruft, sehr fehlt, dass er das Gefühl hat, auf ein Minenfeld geraten zu sein, dass er nicht alle Elemente zur Hand hat.

Quelle: Entdeckungen. Versuche 2, Autor: Julien Gracq