Von Ralf Keuper
Dass Albert Einstein nicht „nur“ ein genialer Physiker, sondern noch dazu ein großer (Wissenschafts-)Philosoph war, machen die verschiedenen Beiträge aus dem Buch Albert Einstein als Philosoph und Naturforscher deutlich.
Darin setzt sich eine illustre Schar herausragender Gelehrter und Denker des 20. Jahrhunderts mit der Bedeutung von Einsteins Forschungen für die Wissenschaft auseinander; darunter Louis de Broglie, Niels Bohr, Wolfgang Pauli, Max Born, Kurt Gödel, Max von Laue, die den naturwissenschaftlichen Part übernehmen, ebenso wie Hans Reichenbach, Walter Heitler, Victor F. Lenzen, F.S.C Northorp und Gaston Bachelard, die eine Bewertung aus philosophischer Perspektive vornehmen. Daneben kommt Albert Einstein selbst zu Wort.
In dem vorliegenden Beitrag geht es um die erkenntnistheoretischen Aspekte, die Albert Einstein bei seinen Forschungen geleitet haben, und über die er sich selbst mehrmals ausführlich in schriftlicher Form geäußert hat.
Eine besonders eindrückliche Beschreibung liefert Victor Lenzen in dem Beitrag Einsteins Erkenntnistheorie. Lenzen beschreibt den Werdegang des (Wissenschafts-)Philosophen Albert Einstein. Ausgehend vom Positivismus Ernst Machs und David Humes, gelangt Einstein mit der Zeit zu seiner eigenen Erkenntnistheorie. Zwar wendet er sich nicht völlig von Mach und Hume ab, weist aber in bestimmten Punkten nach, dass beide Denker noch in Kategorien dachten, die angesichts der Entdeckungen in der Physik um 1900, genannt sei das Wirkungsquantum von Max Planck, nicht mehr ausreichen:
Allerdings braucht die Erkenntnistheorie die Vollendung der neuen physikalischen Theorien nicht abzuwarten. Es mag da unveränderliche Prinzipien geben, so dass die wissenschaftstheoretische Analyse mit dazu beiträgt, die vorherrschenden Begriffe zu prüfen und die neuen physikalischen Theorien zu schaffen. Einstein hat erkannt, dass diese schöpferische Funktion der Wissenschaftstheorie ein wesentlicher Bestandteil in seinem eigenen schöpferischen Werk ist. … Einstein erklärte, es sei darum keineswegs ein eitles Unterfangen, wenn wir uns der Analyse von Begriffen widmen, die uns schon lange geläufig sind, und aufzuzeigen, wovon ihre Rechtfertigung und Brauchbarkeit abhängt. Die allzu große Autorität altgewohnter Begriffe wird dann gebrochen: sie werden beiseite gestellt, wenn sie nicht als adäquat gerechtfertigt werden können, sie werden korrigiert, wenn ihre Beziehung zur tatsächlichen Erfahrung zu sorglos hingenommen wurde, oder sie werden durch andere Begriff ersetzt, wenn es möglich ist, ein neues System aufzustellen, das den Vorzug verdient.
Bei aller Bewunderung für Mach und Hume, lehnt Einstein eine empirische Begründung des Ursprungs der Begriffe ab:
Nach Einstein sind die Begriffe, die in unseren Gedanken und unseren sprachlichen Ausdrucksweisen auftauchen, logisch gesehen freie Schöpfungen des Denkens, die von Sinneserfahrungen auf induktivem Weg nicht abgeleitet werden können. Wie Plato betont Einstein die Kluft zwischen den Sinnesgegebenheiten und den Begriffen des Denkens. .. Die konstruktive Natur der Begriffe wird, wie Einstein sagt, nicht leicht bemerkt, weil wir die Gewohnheit haben, bestimmte Begriffe und begriffliche Beziehungen absolut mit gewissen Sinneserfahrungen zu verbinden.
Ein weiteres zentrales Thema in Einsteins Erkenntnistheorie ist die „reale Außenwelt“.
Der erste Schritt bei der Setzung einer „realen Außenwelt“ ist die Schöpfung des Begriffs eines körperlichen Gegenstandes oder besser körperlicher Objekte verschiedener Art. Gewisse immer wiederkehrende Komplexe von Sinnesempfindungen werden aus der Fülle durch das reine Denken willkürlich ausgewählt, und ihnen wird der Begriff des körperlichen Objekts zugeschrieben. Einstein meint, dass, logisch betrachtet, der Begriff des körperlichen Gegenstandes mit der Totalität dieser Sinnesempfindungen nicht identisch, sondern als eine freie Schöpfung des menschlichen Geistes anzusehen ist.
Zu einer ähnlichen Bewertung von Einstein Erkenntnistheorie gelangt F.S.C. Northorp.
Albert Einsein hat deutlich gesehen, dass es in der wissenschaftlichen Erkenntnis zwei Komponenten gibt: die eine ist mit positivistischer Unmittelbarkeit empirisch gegeben, die andere aber ist imaginativ und theoretisch gegeben und ihr Charakter ist völlig verschieden von der empirisch unmittelbaren.
Bei aller Kritik am Positivismus, ganz aufgeben will und kann, so Northorp, auch Einstein ihn nicht:
Wenn auch die Positivisten mit ihrer rein empiristischen Theorie der Bedeutung in der empirischen Wissenschaft nicht recht haben, so haben sie doch mit ihrer Behauptung recht, dass philosophisch gültige Sätze auch wissenschaftliche verifizierbare Sätze sind. Wichtig ist also nicht, wo die Bedeutungen der wissenschaftlichen Begriff herkommen, sondern dass sie durch ihre deduktiven Folgerungen und die entsprechenden Korrelationen der Erkenntnis mit den empirischen Daten verifiziert werden, bevor jemand den Anspruch erhebt, dass sie als eine korrekte Bezeichnung der Natur der Dinge philosophische Gültigkeit haben.
Die Einsteinsche Wissenschaftstheorie fusst laut Northorp auf zwei Komponenten: Einmal die empirische, die Begriffe partikularer, nominalistischer Art liefert, und zum anderen die formale, mathematische und theoretische. Letztere liefert universale Begriffe, welche ihre Bedeutung durch Postulate bekommen, die wiederum universale Sätze sind. An einer Stelle bezeichnet Einstein seinen Ansatz selbst als „Hypothetische Deduktion“.
Nachtrag:
Eine wichtige Ergänzung zu dem Buch Albert Einstein als Philosoph und Naturforscher ist Die Analogie – Das Herz des Denkens von Douglas Hofstadter und Emmanuel Sander. Darin gehen die Autoren in dem Kapitel Analogien, die die Welt erschütterten intensiv auf den, wörtlich, Denkstil Albert Einsteins ein. Einstein machte regen Gebrauch von Analogien – ohne sie, so Hofstadter und Sander – u.a. unter Berufung auf den Einstein-Biografen Banesh Hoffmann – hätte er seine Allgemeine und Spezielle Relativitätstheorie niemals formulieren können.