Von Ralf Keuper
In der Wissenschaft geht es, anders als in der Wirtschaft oder der Politik, einzig darum, der Wahrheit bzw. der besten Methode uneigennützig zum Durchbruch zu verhelfen. Interessen Einzelner, von Unternehmen oder Institutionen haben keine Chance, die Forschungsergebnisse zu beeinflussen. Experimente sind reproduzierbar, die Methoden haben sich in der Praxis bewährt, so dass eine objektive Bewertung der Ergebnisse möglich ist. An diesem Ideal haben in der Vergangenheit u.a. Thomas S. Kuhn, Ludwik Fleck, Imre Lakatos und Paul Feyerabend gerüttelt. Demzufolge spielen persönliche Interessen, Eitelkeiten und politische Motive eine wichtige Rolle im Wissenschaftsbetrieb.
Beispielhaft dafür sind die Erfahrungen, von denen der Entdecker des menschlichen Genoms, Craig Venter, in seiner Autobiografie Entschlüsselt. Mein Genom. Mein Leben berichtet.
Venter machte immer wieder die Beobachtung, dass Wissenschaftler zunächst einmal daran interessiert sind, ihre eigene Position zu sichern:
Eines sollte ich .. immer und immer wieder lernen: Eine erstaunlich große Zahl von Humangenetikern sorgt sich mehr darum, selbst den Wettlauf um die Entdeckung eines krankheitsassoziierten Gens zu gewinnen, als um die möglichst schnelle Beendigung des Wettlaufs. .. Wenn sie das Verdienst nicht für sich verbuchen konnten, würden sie neuen Methoden, die unabhängig von ihnen zur schnellen Isolierung des Gens führen konnten, den Rücken wenden.
In dem Wettlauf bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms zeigte sich auch, wie wichtig inzwischen leistungsfähige Apparate (Sequenzierautomaten) Rechner und Algorithmen sind:
Wir mussten einen der größten Computer aller Zeiten bauen – vielleicht sogar den größten überhaupt. … Unsere Fragestellung weckte sehr schnell das Interesse und die Aufmerksamkeit der Computerbranche. .. Alle wollten uns davon überzeugen, dass ihre Computer als einzige die Aufgabe bewältigen könnten, und alle wollten den Computer liefern, der das Genom des Menschen zusammensetzte.
Ebenso so groß wie an die Hardware waren die Anforderungen an die Software:
Um die gesamte, drei Milliarden Buchstaben lange Genom des Menschen abzudecken, musste die Software in der Lage sein, 30 Millionen Fragmente zu handhaben. Es war gewissermaßen die Mutter – und der Vater – aller Puzzlespieler, und wenig später stellten wir ein hochkarätiges Team zusammen, das den erforderlichen Algorithmus entwickeln sollte.
Um Anträge konkurrierender Forschergruppen, wie im Fall der Genomforschung zwischen der staatlichen NSH und dem privaten Institut von Venter (Celera), galant zu sabotieren, stehen bewährte Verfahren zur Verfügung:
Damit ein Antrag scheitert, ist häufig nicht mehr erforderlich, als dass einer der mehr als zwölf Gutachter das Fachgebiet, den Antragsteller, die Institution oder die Methodik nicht mag. Ein Gutachter bewundert vielleicht den Wissenschaftler, der den Antrag gestellt hat, und respektiert auch seine Forschungsarbeiten, aber in einem stark von Konkurrenz geprägten Fachgebiet kann die Blockade eines Konkurrenzprojektes dazu führen, dass die Finanzierungsaussichten für das eigene Institut des Gutachters wachsen. Ebenso kann es hilfreich sein, wenn eine neue Methodik, die im Institut des Gutachters nicht angewandt wird oder als unbrauchbar abgeschrieben wurde, möglichst wenig eingesetzt wird. Offene Feindseligkeit oder Gehässigkeit sind gar nicht nötig, um den Finanzierungsantrag eines Rivalen erfolgreich zu Fall zu bringen; man braucht sich nur lauwarm zu äußern oder zu schwaches Lob spenden.
Venter und sein Team wählten für ihre Forschungen die Drosophila. Zu dieser Gattung zählen Essigfliegen, Weinfliegen, Gärfliegen und Taufliegen; insgesamt umfasst sie 2.600 Arten. Gedanke dabei war, von den Genen der Fliegen auf mögliche Funktionen ähnlicher menschlicher Gene zu schließen.
Ein großer Streitpunkt zwischen Venters Gruppe und den staatlichen Institutionen war die Frage nach der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse bzw. der Daten.
Nachdem das letzte Fragment des Drosophila-Genoms sequenziert war, nahm Venter 1999 das menschliche Genom ins Visier. Bereits im Juni 2000 war das menschliche Genom entschlüsselt. Hauptverantwortlich für den Erfolg war die von Venter entwickelte EST-Methode.
In einem Interview mit Lindau Nobel Laureate Meetings äußerte sich der Nobelpreisträger Ham Smith zu Venter und der EST-Methode:
Er erfand die EST-Methode, die für die erweiterten Erläuterungen des menschlichen Genoms absolut notwendig ist. Ihm gelang es, eine große Gruppe zu vereinen, um das menschliche Genom zu entschlüsseln. Sein Team entschlüsselte die ersten bakteriellen Gensequenzen.
So gesehen hat sich dann doch die beste Methode durchgesetzt.