Von Ralf Keuper

An der Alchemie scheiden sich die Geister. Handelt es sich dabei um eine Art Wissenschaft, um Große Kunst, wie eine aktuelle Ausstellung in Berlin suggeriert, oder schlicht nur um Hokuspokus.

Auf der Internet-Seite zur Ausstellung steht:

In Europa wurde die Alchemie im Mittelalter als Ars Magna, die Große Kunst, bezeichnet und ihre Praxis diente künstlerischem Schaffen. Die auf Albertus Magnus zurückgehende These, dass die Kunst der Alchemie die Natur am besten nachahmen kann, wurde an den Universitäten von Paris und Oxford von Gelehrten wie Thomas von Aquin oder Roger Bacon diskutiert. Entgegen dem landläufigen Missverständnis, dass das Anliegen der Alchemisten vornehmlich Chrysopoeia – die Herstellung von künstlichem Gold – gewesen war, intendierten zahlreiche Adepten tatsächlich nichts Geringeres als die Nachahmung des göttlichen Schöpfungsaktes selbst: Ein Ziel, das sie dazu anspornte, die Natur nicht nur zu imitieren, sondern durch ihre Kreativität letztlich sogar übertreffen zu wollen. Dieser innere Antrieb, Materie als Teil der natürlichen Schöpfung in ein künstlerisches Elaborat zu transmutieren, führte dazu, dass Künstlerinnen und Künstler bis heute – gerade auch in der zeitgenössischen Kunst – die prozessuale Verwandlung des Materials als integralen Bestandteil ihrer Arbeit verstehen.

Angetan von der Ausstellung zeigt sich Tilman Spreckelsen in Aus alt mach immer wieder neu  in der FAZ vom 7.04.17. Der Ruf der Alchemie leidet bis heute darunter, dass sie mit okkulten Praktiken in Verbindung gebracht wird. Die Suche nach der Ursubstanz, das unedle Metalle in Gold verwandeln kann, aus dem sich wiederum – in Wein aufgelöst –  ein Allheilmittel gewinnen lässt, überschattet die Geschichte dieser Wissenschaft.

Spreckelsen zitiert den Chemiehistoriker Claus Priesner:

Alchemie basiert im Kern auf naturkundlichem Wissen und ist daher fundamental etwa vom Schamanismus und anderen Disziplinen der Magie geschieden.

In zahlreichen Illustrationen ist über die Jahrhunderte versucht worden, die ganzheitliche Wirkungsweise der Alchemie zu veranschaulichen.

Im 18. Jahrhundert schlägt die Forschung, so Spreckelsen, eine andere Richtung ein:

… an die Stelle von Spekulation treten nun endgültig das Experiment und die Anschauung, und was seither mit Alchemie verbunden wird, ist eine Mischung aus Wahn und Trug.

Für Helmut Gebelein besteht der Unterschied zwischen Alchemie und Chemie in ihren unterschiedlichen Denkansätzen, Denkstilen:

Ihre (Alchemie) Betrachtungsweise wird heute als magisches Weltbild oder als partizipierendes Bewusstsein bezeichnet. Auch ein magisches Weltbild geht davon aus, das die Welt gesetzmäßig ist, die Gesetze sind nur andere als die, die wir derzeit akzeptieren. Ein magisches Weltbild ist nicht übersinnlichen, sondern anderssinnlich. Unter Magie ist dabei das Ausnützen von naturgegebenen Kräften zu verstehen, die in unserem naturwissenschaftlichen Weltbild keinen Platz haben (Alchemie. Die Magie des Stofflichen)

Gebelein benennt sieben hermetische Prinzipien der Alchemie:

  1. Das Prinzip der Geistigkeit
  2. Das Prinzip der Entsprechung
  3. Das Prinzip der Schwingung
  4. Das Prinzip der Polarität
  5. Das Prinzip des Rhythmus
  6. Das Prinzip von Ursache und Wirkung
  7. Das Prinzip des Geschlechts

Als Erfinder der Alchemie und Namensgeber der Hermetik gilt Hermes Trismegistos. Auf Wikipedia steht:

Als Hermetik im engeren Sinn bezeichnet man die Strömungen, die in unmittelbarer Tradition der antiken Hermetik stehen. Im weiteren Sinn ist „Hermetik“ ein Synonym für Alchemie und okkultesoterische Lehren überhaupt. Die Hermetik beeinflusste das naturwissenschaftliche Weltbild bis in das 17. Jahrhundert hinein und prägte den abendländischen Okkultismus.

Der Hermetik bzw. des Hermetismus zugerechnet wird u.a. Giordano Bruno. Selbst Galilei stand im Verdacht, dem Hermetismus anzuhängen.

Laut Gebelein stehe die Alchemie allen Interessierten offen:

Die Alchemie ist eine Lehre, die von niemanden Unterwerfung unter Dogmen verlangt. Sie verlangt allerdings viel Arbeit und Geduld und die Kenntnis der zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten. Jeder, der sich mit Alchemie ernsthaft beschäftigt, weiss, wieviel er mitteilen kann. Geheimwissenschaft bedeutet nicht, dass Wissen geheimgehalten werden muss, dies kann ein Aspekt sein. Das Wissen ist auch geheim, weil es nur durch eigene Arbeit erhalten und deshalb auch nicht einfach weitergegeben werden kann.

Karl Popper würde das wohl als Immunisierung bezeichnen. Wenn es in der Alchemie Gesetzmäßigkeiten gib, dann müssen sie sich doch irgendwann in einem Regelwerk, einem Kanon niederlegen lassen, der neuesten Erkenntnissen angepasst werden kann. Anderenfalls handelt es sich um eine Art Innenschau, um Mystik, um Offenbarungswissen.

Auf dieses Dilemma spielt m.E. Erwin Chargaff an:

Unsere Wissenschaften sind dazu verurteilt, den Teil für das Ganze zu nehmen, denn für dieses haben sie kein Organ. Sie können summieren, nicht integrieren. Sie sind sehr genau, wo sie beiläufig sein dürften, und beiläufig, wo eine geradezu religiöse, höchste Genauigkeit am Platze wäre. Daher muss der Mystiker vor ihnen verzagen, ebenso wie der analytische Chemiker versagen muss vor der Entstehung des Lebens. Ich fürchte, auf diesem Weg wird die ersehnte Brücke niemals erreicht werden (in: Warnungstafeln. Die Vergangenheit spricht zur Gegenwart)

Über die enge Beziehung zwischen Kunst und Alchemie schreibt Gebelein:

Die Alchemie und die Kunst haben das gleiche Ziel: der Frage nach dem Sinn der Schöpfung nachzugehen. Darin liegt die tiefere Begründung für die Bezeichnung der Alchemie als Kunst bis in unsere Zeit.

Daraus erklärt sich wohl das nicht nachlassende Interesse der Künstler an der Alchemie; in der Literatur (Goethe, Shakespeare, Breton), Malerei (Magritte, Hieronymus Bosch, Rembrandt) und Musik (Monteverdi, Mozart, Haydn)

Weitere Informationen:

Ausstellung “Alchemie. Die große Kunst” im Berliner Kulturforum

Der Traum vom Dreck, der zu Gold wird

Die Alchemie ist tot – es lebe die Chemie!?

 

 

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