Von Ralf Keuper
Die Macht der Datenbanken, das rückt immer mehr in das öffentliche Bewusstsein, ist nicht zu unterschätzen. Datenbanken und Suchmaschinen haben einen großen Einfluss auf unser Denken und unsere Wahrnehmung, wie David Gugerli in Die Welt als Datenbank, Zur Relation von Softwareentwicklung, Abfragetechnik und Deutungsautonomie hervorhebt. Exemplarisch dafür ist die Serie CSI (Crime Scence Investigation), die in mehreren (regionalen) Varianten (Miami, New York, Los Angeles) produziert wird.
Mussten die Detektive sich in der Vergangenheit, wie Columbo, auf ihr Gespür, ihr Gedächtnis und Kombinationsgabe verlassen, können sich ihre Kollegen heute auf einen Datenmeer stützen, dem die Täter nicht entrinnen können. Ihre Datenspuren führen die Ermittler über kurz oder lang zu ihnen:
Die Kunst der Rekombination solcher Daten, deren Herkunft, Qualität und Form einen hohen Grad an Heterogenität aufweisen können, wird dem Publikum als Interpretationsspiel vorgeführt: In optisch stark verwischten Sequenzen werden immer wieder mögliche Narrative simuliert. Jedes dieser provisorischen Auswertungsfragmente zeigt den Detektiven an, wo sich vielleicht noch weitere Spuren suchen und finden lassen. Die Datenbeschaffung kann weitergeführt und verfeinert werden.
Die Welt als Datenbank:
Metaphorisch gesprochen wird in CSI die Welt als Datenbank inszeniert, deren Einträge es aufzuspüren und zu kombinieren gilt, um so die alles entscheidenden Einsichten in die Verhältnisse zu gewinnen.
Hermeneutik und Psychologie werden überflüssig. Die Daten sprechen für sich, sie sind selbsterklärend. Ein neues Denkmodell entsteht:
Als Maschine und Denkmodell verändert die Datenbank jedoch nicht nur die Prozeduren kriminalistischer Arbeit, um damit beispielsweise zu einem höheren Output an gelösten Fällen pro Sendung zu führen. Als Maschine und Denkmodell steht die Datenbank für die Versicherung, dass diesseits und jenseits der Bildschirme der kombinatorische Freiheitsgrad jeder »signifying practice« erweitert werden kann. Der am CSI-Beispiel festgemachte kulturelle Wandel findet jedoch keineswegs im luftleeren Raum der Signifikantenspiele statt. Wenn die erfolgreichsten kulturindustriellen Produkte einer Zeit so grundlegende kommunikative Verfahren wie Suchen, Deuten und Verstehen im Modus der Datenbankabfrage präsentieren, dann stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Datenbankentwicklung und dem Wandel der »signifying practice« einer Epoche wie von selbst. Sie ist Gegenstand der folgenden Überlegungen.
Wegweisend für die beschriebene Entwicklung war der Beitrag A Relational Model of Data for Large Shared Data Banks von Edgar F. Codd. Danach setzte der Siegeszug der (relationalen) Datenbanken ein, der bis heute anhält. Das Unternehmen Oracle, nach Microsoft der zweigrößte Softwarehersteller der Welt, verdankt seinen Erfolg vorwiegend der Datenbanktechnologie. IBM, Arbeitgeber von Edgar F. Codd, zählt auf dem Gebiet der Datenbanktechnologie ebenfalls zu den führenden Anbietern.
Von großem Nutzen waren die relationalen Datenbanken für die Unternehmen:
Durch die Anwendung der neuen ars combinatoria, die von relationalen Datenbanken offeriert wurden, versprach der Computer nun auch die unternehmensinternen Transaktionskosten zu senken. Selbst dem mittleren Management konnten in absehbarer Zeit zu tiefen Abfragekosten Quervergleiche über Tabellen- und Abteilungsgrenzen hinweg möglich gemacht werden. Dass dieses Angebot in eine Zeit fiel, in der die Restrukturierung von ganzen Unternehmungen zum alltäglichen Problem geworden war, erhöhte die Attraktivität relationaler Datenbanktechnik in den späten 1970er und den frühen 1980er Jahren dramatisch, insbesondere als mit Oracle auch auf kleineren Rechnern relationale Datenbanksysteme implementierbar geworden waren.
Bleibt die Frage nach der Deutungsautonomie von Text. Gugerli erwähnt Roland Barthes und Umberto Eco:
Wie schrieb Roland Barthes 1970 in S/Z? »Einen Text interpretieren heißt nicht, ihm einen (mehr oder weniger begründeten, mehr oder weniger freien) Sinn geben, heißt vielmehr abschätzen, aus welchem Pluralem er gebildet ist.« Der Text ist bei Barthes eine »Galaxie von Signifikanten«, die in seinem Gewebe unendlich komplex und vielfältig zueinander in Beziehung treten. Interpretation heißt also nicht, mit hermeneutisch geschulten Abfragetechniken jenen ursprünglichen Sinn zu eruieren, den ihm ein Autor möglicherweise gegeben haben wollte. Vielmehr ist der Text eine Maschine zur Produktion von Interpretationen, wie Umberto Eco einmal gesagt hat. Die Trennung von Autor und Leser, die sich aus dieser Vorstellung von Text ergibt, ist so strikt wie die Trennung von Programmierer und Nutzer. Auch der Text wird, um nochmals Barthes zu zitieren, stets »durch mehrere Zugänge« erschlossen, »von denen keiner mit Sicherheit zum Hauptzugang gemacht werden könnte.«
Es bleibt dabei: Datenbanken sind nur eine Form der Repräsentation:
Mit Texten, davon war man in den 1970er Jahren überzeugt, ist es wie mit Datenbanken. Beide hatten sowohl theoretisch als auch pragmatisch eine Rekonfiguration durchlaufen und verlangten nach variablen Rekonstruktionen des angebotenen Materials, ließen sich als mehrdeutiges Möglichkeitsfeld verstehen, das variable operative und interpretative Prozeduren und Entscheidungen zulässt. Weder sollte ihre Präsentation so beschaffen sein, dass ihre Deutung nur in eingeschränkter, vorgespurter Weise möglich bleibt, noch können sie für sich selber sprechen. Das wieder aber haben sie mit jenen elektronischen, biologischen und materiellen Datenbanken gemeinsam, welche die Welt der forensischen Spezialisten in CSI ausmachen. Nur über die Abfrage dieses informationellen Möglichkeitsfeldes lassen sich Zusammenhänge simulieren, überprüfen und erkennen. Dafür braucht es spezielle Technologien, Verfahren und Sprachen, welche aus vorhandenen Daten neuen Sinn generierten. Daten sprechen nie für sich selber. Darum antwortet der Laborleiter von CSI Las Vegas auf die Frage, warum er als forensischer Spurensucher arbeite: »Because the dead can’t speak for themselves.«
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