Von Ralf Keuper

Es ist eigentlich nur folgerichtig, dass, wenn der Alltag der Menschen digitaler wird, auch die Identität davon nicht ausgeschlossen bleibt. Was hat das für den einzelnen, für das Ich oder das Selbst zu bedeuten? Wird die Identität prozesshafter, d.h. unterwirft sie sich der Verarbeitungslogik der Informationstechnologie?

Steht die Revolution für das Selbst bevor, wie das Goethe-Institut fragt?

Während sich der klassische Begriff von Identität über äußerliche Merkmale definiert, also Name, Geburtsdatum, Wohnort, Unterschrift und unveränderliche biometrische Kennzeichen wie Augenfarbe und Fingerabdrücke, ist Identität im Internet dynamischer, prozesshafter. Sie ergibt sich zunächst aus den digitalen Spuren, die wir hinterlassen: Kommunikationsspuren, Ortsangaben, Konsumnachweise. Sie ergibt sich aber auch aus der Art und Weise, wie wir uns selbst inszenieren.

Wie weit muss die Sorge der Menschen um ihre Digitale Identität, ihr „digitales Double“ im Netz gehen? Bob Blakey von IBM vertritt dazu in Philosophisches zur digitalen Identität einen klaren Standpunkt:

Wenn jemand aber sagt, er mache sich Sorgen um seine Identität, dann hat das nichts mit der digitalen Variante zu tun. Man macht sich Sorgen über sein Verhalten oder über den Datenschutz, aber das ist nicht die digitale Identität an sich. Man könnte sich Sorgen darüber machen, dass eine digitale Identität die Privatsphäre verletzt. Das heißt aber vor allem, dass man sich Sorgen um das Verhalten der Firmen machen sollte, mit denen man Geschäfte eingeht.

Nirgendwo sonst, wie in den Sozialen Netzwerken, werden die Chancen und Risiken der Selbst-Definition mittels Digitaler Identitäten sichtbar. Beziehungen, so Robert Sakrowski in Identität und soziale Netzwerke, werden durch komplexe Verkettungen immer ferner:

Die Veröf­fent­li­chung der perma­nen­ten Selbst­re­fle­xion, der unun­ter­bro­che­nen Doku­men­ta­tion von Ereig­nis­sen, erschafft durch das Teilen im Sozia­len Netz­werk eine Form der Zeugen­schaft, die die eigene Präsenz und Exis­tenz in der Welt beglau­bi­gen soll. Der eigent­li­che Event, das Doku­men­tierte bzw. der Inhalt spielt dabei keine wirk­li­che Rolle. Das Ereig­nis ist austausch­bar, einzig als Medium oder Doku­ment bedeut­sam für die im Teilen ange­strebte Zeugen­schaft. Die Ande­ren und ihre zum Teilen bestimm­ten Welten werden auf diese Weise zum konsti­tu­ti­ven Bestand­teil des soge­nann­ten „Real Life“ des Einzel­nen. Ist der Einzelne bereit, die Funk­tion der Zeugen­schaft für die Ande­ren zu leis­ten, kann er eher erwar­ten, dass diese auch ihm gegen­über erbracht wird.

Katie Ellies schlägt in Die Facebook-Philosophie: Identität, Objekte und/oder Freunde? den Bogen zur Sozialphilosophie von George Herbert Mead:

In Meads Verständ­nis sozia­ler Inter­ak­tion und kommu­ni­ka­ti­ver Iden­ti­tä­ten spie­len die Kompo­nen­ten „me“ und „I“ eine wich­tige Rolle. Das „me“ ist die orga­ni­sierte Gruppe von Haltun­gen ande­rer, die man selbst einnimmt, während das „I“ die Reak­tion des Orga­nis­mus auf die Haltun­gen ande­rer bezeich­net. Das Selbst ist mit der sozia­len Exis­tenz eng verknüpft. Wenn Face­book-Nutzer entschei­den, „was sie gerade beschäf­tigt“ oder wenn sie ihren Status aktua­li­sie­ren, liefern sie eine Darstel­lung des Selbst oder des „me“, das auf ihrer bereits erfah­re­nen Sozia­li­sie­rung beruht. Wenn beispiels­weise ein Freund etwas über Cricket am Boxing Day postet oder eine Freun­din sich über die Blicke älte­rer Mütter beschwert, wenn sie ihre Kinder in Shorts in die Schule bringt, wählen sie eine bestimmte Iden­ti­tät, die sie darstel­len möch­ten. Auf Face­book ist die Iden­ti­tät eine Wahl, ein Objekt, das wir proji­zie­ren möch­ten. Wenn „ich“ [I] meineFace­book-Seite pflege, dann wähle ich ein „Ich“ [me], das ich der Welt und mir selbst vermit­teln will. Meine persön­li­che Iden­ti­tät wird aus einer Auswahl sozia­ler Iden­ti­tä­ten bestimmt.

Wird die Evolution des Selbst künftig begleitet von der Evolution der Digitalen Identität, wie sie Fernando Gebara Filho in The Evolving Role of the Identity: From the Lone User to the Internet grob angerissen hat?

Digital identities and their use are still evolving, based on the evolution of online services that are provided by the ubiquity of the Internet. Identity management is no longer merely a set of procedures for authentication, authorization, and provisioning of user accounts.

Weitere Informationen:

DIGITAL IDENTITY CONVENTION, 16. & 17.1.2016, NRW-FORUM DÜSSELDORF

The Path to Self-Sovereign Identity

Identity and Digital Self-Sovereignty

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