Wenn ein Wissen reif ist, Wissenschaft zu werden, so muss notwendig eine Krise entstehen: denn es wird die Differenz offenbar zwischen denen, die das einzelne trennen und getrennt darstellen, und solchen, die das Allgemeine im Auge haben und gern das Besondere an- und einfügen möchten. Wie nun aber die wissenschaftliche, ideelle, umgreifendere Behandlung sich mehr und mehr Freunde, Gönner und Mitarbeiter wirbt, so bleibt auf der höheren Stufe jene Trennung zwar nicht so entschieden, aber doch genugsam merklich.
Diejenigen, welche ich die Universalisten nenne, sind überzeugt und stellen sich vor: dass alles überall, obgleich mit unendlichen Abweichungen und Mannigfaltigkeiten, vorhanden und vielleicht auch zu finden sei; die andern, die ich Singularisten benennen will, gestehen den Hauptpunkt im allgemeinen zu, ja, sie beobachten, bestimmen und lehren hiernach; aber immer wollen sie Ausnahmen finden, da wo der ganze Typus nicht ausgesprochen ist, und darin haben sie recht. Ihr Fehler aber ist nur, dass sie die Grundgestalt verkennen, wo sie sich verhüllt, und leugnen, wenn sie sich verbirgt. Da nun beide Vorstellungsweisen ursprünglich sind und sich einander ewig gegenüberstehen werden, ohne sich je zu vereinigen oder aufzuheben, so hüte man sich vor aller Kontroverse und stelle seine Überzeugung klar und nackt hin.So wiederhole ich die meinige: dass man auf diesen höheren Stufen nicht wissen kann, sondern tun muss: so wie an einem Spiele wenig zu wissen und alles zu leisten ist. Die Natur hat uns das Schachbrett gegeben, aus dem wir nicht hinaus wirken können noch wollen; sie hat uns die Steine geschnitzt, deren Wert, Bewegung und Vermögen nach und nach bekannt werden; nun ist es an uns, Züge zu tun, von denen wir uns Gewinn versprechen; dies versucht nun ein jeder auf seine Weise und lässt sich nicht gern einreden. Mag das also geschehen, und beobachten wir nur vor allem genau: wie nah oder fern ein jeder von uns stehe, und vertragen uns sodann vorzüglich mit denjenigen, die sich zu der Seite bekennen, zu der wir uns halten. Ferner bedenke man, dass man immer mit einem unauflöslichen Problem zu tun habe, und erweise sich frisch und treu, alles zu beachten, was auf irgend eine Art zur Sprache kommt, am meisten dasjenige, was uns widerstrebt: denn dadurch wird man am ersten das Problematische gewahr, welches zwar in den Gegenständen selbst, mehr aber noch in den Menschen liegt. Ich bin nicht gewiss, ob ich in diesem so wohl bearbeiteten Felde persönlich weiter wirke, doch behalte ich mir vor, auf diese oder jene Wendung des Studiums, auf diese oder jene Schritte der einzelnen aufmerksam zu sein und aufmerksam zu machen.
Quelle: Johann Wolfgang von Goethe: Aller Anfang ist heiter. Ein Brevier von Heinz Friedrich