Von Ralf Keuper

Wird die Diversität, die biologische Vielfalt, möglicherweise überschätzt? Dieser Eindruck könnte beim Lesen des Interviews “Moral ist Gift für die Gesellschaft” mit dem Naturphilosophen Bernd-Olaf Küppers entstehen. Darin erwähnt Küppers den Begriff zwar nicht explizit, streift ihn aber, z.B. dann, wenn er die gängige Vorstellung des Artenschutzes kritisiert:

Frage: Die Theologen und Gläubigen gegen sich aufzubringen reicht Ihnen offenbar nicht. Auch der Artenschutz – für viele Menschen ein moralischer Wert – scheint Ihnen nicht zu passen. Sie fordern, der Mensch habe im Mittelpunkt seines eigenen Interesses zu stehen.

Antwort: Es gehört zur Natur der Lebewesen, sich eigennützig zu verhalten.

Küppers hält die Ansicht, wonach die Natur ein Museum der Schöpfung ist, das wir nicht verändern dürften, für irrational und unwissenschaftlich.

Das sieht der Generaldirektor des Forschungsinstituts und des Naturmuseums Senckenberg, Volker Mosbrugger, etwas anders. In dem Interview „Auf dem Spiel steht die Qualität des Lebens” nennt er als Zielkonflikt:

Wir müssen einen Weg finden, die Entwicklung auf der einen Seite weiterzuführen – dass es immer mehr Leuten immer besser geht –, aber gleichzeitig die Ressourcen besser zu schonen, als wir es jetzt tun.

Zur Biodiversität gehört auch die genetische Vielfalt. In Biodiversität. Unsere wertvollste Ressource schreibt Carsten Neßhöver:

Bei einer geringen genetischen Vielfalt innerhalb einer Population mag es etwa passieren, dass eine ganze Art durch einen einzigen Erreger ausgelöscht wird. So  wurde in den 1980er- und 1990er- Jahren die Reisernte in weiten Teilen Asiens durch einen Virus bedroht, der zu großflächigen Ausfällen führte. Die weit verbreiteste Reissorte war nicht resistent und wurde flächendeckend angebaut. Erste eine neue Züchtung unter Nutzung einer Wildreissorte, deren Gene eine Resistenz gegen den Virus entwickelt hatten, konnte die Verluste durch den Virus zurückdrängen.

Auch für die Fortpflanzung einer Art kann geringe genetische Vielfalt zum Flaschenhals werden. So sind etwa Geparden mit einer sehr geringen genetischen Vielfalt ausgestattet, da die heute lebenden Tiere von einer äußerst kleinen Gruppe abstammen, die vor einigen tausend Jahren existierte. Die geringe Diversität hat sich mit der Zeit auf die Spermienqualität und die Überlebensrate der Jungtiere ausgewirkt, so dass heute – zusätzlich zur starken Konkurrenz durch andere Arten und die Bedrohung durch den Menschen – nur fünf Prozent der Jungtiere erwachsen werden. Für eine seltene Säugetierart mit wenigen Nachkommen keine gute Quote.

Die Frage ist nun, inwieweit der Mensch Einfluss auf die genetische Vielfalt in den erwähnten Fällen hat. Im Fall der Geparden dürfte er nicht das größte, jedenfalls nicht das einzige Problem sein.

Tim Flannery schreibt in Auf Gedeih und Verderb. Die Erde und wir: Geschichte und Zukunft einer besonderen Beziehung:

Ein gesunder Planet definiert sich durch die Größe seines Energiebudgets und die Widerstandsfähigkeit seiner Ökosysteme (die zum Teil aus der Artenvielfalt herrührt). Wissenschaftler betrachten die Erde erst seit kurzem unter diesem Blickwinkel, weshalb wir bei der Messung der Produktivität und der Vielfalt nach wir vor auf Schätzungen angewiesen sind. Untersuchungen von Fossilien aus den Zeiten des großen Artensterbens zeigen jedoch, dass das Erdsystem kurz vor dem Zusammenbruch steht, wenn das Energiebudget und die Widerstandsfähigkeit ihrer Ökosysteme unter eine bestimmte Schwelle fallen.

Flannery plädiert für die Wiederbelebung der Ko-Evolution:

Die natürlich Auslese, die durch die Interaktion zwischen verwandten Dingen ausgelöst wird, nennt sich Ko-Evolution. Sie kann auf jeder Ebene wirken, von einzelnen Aminosäuren bis zu ganzen Organismen, und könnte nicht nur eine Grundeigenschaft des Lebens sein, sondern sehr viel mehr. Astronomen behaupten, schwarze Löcher und Galaxien entwickelten eine gegenseitige Abhängigkeit, die gewisse Ähnlichkeiten mit der biologischen Ko-Evolution hat.  … Das Phänomen der Koevolution erklärt auch, warum Afrika der einzige Kontinent ist, der sich die Vielfalt der großen Säugetiere weitgehend erhalten hat. Diese Tiere lernten uns als Räuber kennen und entwickelten im evolutionären Rüstungswettlauf, Methoden, um uns zu entgehen. Das war der entscheidende Unterschied zwischen den Tieren Afrikas und denen der anderen Kontinente.

Das Wissen um das Ausmaß des Artensterbens ist noch erstaunlich lückenhaft bzw. ausbaufähig:

Andererseits zeigt das Bienensterben, dass hier Handlungsbedarf besteht (Vgl. dazu: Bienensterben – Wann kippt unser Ökosystem endgültig?). Eine Studie der Universität Göttingen brachte das Ergebnis, “dass Pflanzen besonders viele Früchte und Samen hervorbringen, wenn möglichst viele unterschiedliche Arten frei lebender Bestäuber vorhanden sind” (Vgl. dazu: Uni Göttingen belegt Notwendigkeit von vielen Bestäuber-Arten)

 

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