In der Tat, es gibt einen Punkt, einen einzigen Punkt in der weiten unermeßlichen Natur- und Geisteswelt, welcher jeder Wissenschaft und daher auch jeder kausalen Betrachtung nicht nur praktisch, sondern auch logisch genommen unzugänglich ist und für immer unzugänglich bleiben wird: dieser Punkt ist das eigene Ich. –  Ein winziger Punkt .. im Weltbereich, und doch wiederum eine ganze Welt, die Welt, die unser gesamtes Fühlen, Wollen und Denken umfasst, die Welt, die neben dem tiefsten Leid die höchste Glückseligkeit in sich birgt, das einzige Besitztum, das uns keine Schicksalsmacht entreißen kann und das wir nur mit unserem Leben dereinst preisgeben. …

Nein, die Ummöglichkeit, das eigene gegenwärtige Ich dem Kausalgesetz zu unterstellen, liegt viel tiefer, sie ist logischen Ursprungs, von derselben Art wie der früher von mir erwähnte Satz, dass ein Teil niemals größer sein kann als das Ganze. Ihr unterliegt auch die höchste Intelligenz, ja selbst ein Laplacescher Geist. Denn vermag dieser auch die genialsten Leistungen eines menschlichen Gehirns vollkommen kausal zu deuten, seine Kunst würde sofort versagen, wenn er einmal darauf verfallen sollte, das Kausalgesetz auf seine eigene Denktätigkeit anzuwenden.

Freilich: dass ein an Weisheit uns himmelhoch überlegenes Wesen, welches jede Falte in unserem Gehirn und jede Regung unseres Herzens durchschauen kann, unsere Gedanken und Handlungen als kausal bedingt erkennen würde, das müssen wir uns schon gefallen lassen. Darin liegt aber keinerlei Herabwürdigung unseres berechtigten Selbstgefühls. Teilen wir doch diesen Standpunkt auch mit den Bekennern der erhabensten Religionen. Soweit wird dagegen selbst als erkennendes Subjekt auftreten, müssen wir auf eine rein kausale Betrachtung unseres gegenwärtigen Ich Verzicht leisten. Hier ist also die Stelle, wo die Willensfreiheit einsetzt und ihren Platz behauptet, ohne sich durch irgend etwas verdrängen zu lassen. Bei uns selbst dürfen wir an unbegrenzte Möglichkeiten, an die stärksten und seltsamsten schlummernden Kräfte, an jedes Wunder glauben, ohne je fürchten zu müssen, dass wir einmal mit dem Kausalgesetz in Konflikt geraten könnten.

Quelle: Vom Wesen der Willensfreiheit und andere Vorträge

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