Von Ralf Keuper

Noch immer glauben viele, dass mit Bitcoin ein neues Zeitalter im Banking anbrechen wird. Einige wähnen sich gar auf einem Kreuzzug gegen die Banken und den Staat.

Aus der Technologie allein kann diese Anziehungskraft nicht stammen. Wie alle “Bewegungen” benötigt auch Bitcoin einen ideologischen Überbau, wie der Artikel The Bitcoin Ideology zeigt.

Unumwunden räumt darin eine führende Vertreterin ein, dass es sich bei Bitcoin um einen Kreuzzug im Gewand einer digitalen Währung handele.

Unter dem Dach von Bitcoin vereinigen sich so gegensätzliche politische Strömungen wie der Wirtschaftsliberalismus (Libertarian Capitalists/Ayn Rand) und der Sozialismus. Gemeinsam teilen sie die Überzeugung, dass der Staat und die Banken, wie überhaupt Regulierung, Quellen des Übels sind, wie Alex Payne in seinem Beitrag Bitcoin, Magical Thinking, and Political Ideology schreibt:

The push toward Bitcoin comes largely from the libertarian portion of the technology community who believe that regulation stands in the way of both progress and profit. .. Silicon Valley has a seemingly endless capacity to mistake social and political problems for technological ones, and Bitcoin is just the latest example of this selective blindness. …

Und weiter:

Bitcoin is not without its left-wing supporters, but I think it’s safe to say the currency has mostly proven to be a rallying point for those who see the state and central banks as little more than obstacles to a libertarian techno-utopia, a worldview perhaps best captured in The Californian Ideology. In this sense, Bitcoin is ready-made for a cultural moment when Silicon Valley ideologues are discussing plans for a new opt-in techno-centric society and sliding so far right that a return to monarchyis on their table. (ebd.)

Auffallend, dass Bitcoin schon jetzt nicht ohne zentrale Instanzen auskommt, wie Coinbase oder Marktplätze:

If Bitcoin’s strength comes from decentralization, why pour millions into a single company? Ah, because Coinbase provides an “accessible interface to the Bitcoin protocol”, we’re told. We must centralize to decentralize, you see; such is the perverse logic of capital co-opting power. In order for Bitcoin to grow a thriving ecosystem, it apparently needs a US-based, VC-backed company that has “worked closely with banks and regulators to ensure that the service is safe and compliant”. (ebd.)

Die Macht verschwindet auch mit Bitcoin nicht, sie ist nur woanders. Es ist daher schon eine Überlegung wert, ob der Staat und Regulierung (in Maßen!) nicht doch die bessere Alternative sind, oder um mit Karl Popper zu fragen:

Was verlangen wir von einem Staat? Was fordern wir als gesetzliche Verpflichtung eines Staates? Wenn wir unsere grundlegenden politischen Forderungen feststellen und formulieren wollen, so können wir fragen: Warum ziehen wir das Leben in einem wohlgeordneten Staat einem Leben ohne Staat, das heißt einem Leben in Anarchie vor? Diese Fragestellung ist rational. Fragen dieser Art muss ein Technologe zu beantworten versuchen, bevor er an die Konstruktion oder Rekonstruktion irgendeiner politischen Institution schreiten kann. Denn nur, wenn er weiß, was er will, kann er entscheiden, ob eine gewisse Institution ihrer Funktion wohl angepasst ist oder nicht. …

Der Liberalismus und das Eingreifen des Staates stehen zueinander nicht im Widerspruch. Im Gegenteil: Freiheit ist unmöglich, wenn sie nicht durch den Staat gesichert wird. (in: Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde)

Nein, besser wird die Gesellschaft auch mit Bitcoin nicht. Viel deutet darauf hin, dass es sich stattdessen um eine Neue Versuchung der Unfreiheit (Ralf Dahrendorf) handelt. Es fehlt der überzeugende Gegenentwurf. Technologie alleine reicht nicht. Schon alleine deshalb darf die Entscheidung nicht in den Händen der Nerds und anderer technikbegeisterter Enthusiasten liegen. Noch einmal Payne:

I’ve enjoyed the thought experiment of Bitcoin as much as the next nerd, but it’s time to dispense with the opportunism and adolescent fantasies of a crypto-powered stateless future and return to the work of building technology and social services that meaningfully and accountably improve our collective quality of life. (ebd.)

Aber vielleicht ist Bitcoin doch keine Ideologie, sondern “nur” eine geniale Verkaufsmasche und Dirk Müller behält Recht:

Ich halte das Thema Bitcoins für eine sehr clevere und groß angelegte Abzocke.

Schaun mer mal …

Weitere Informationen:

The Doomsday Cult of Bitcoin

Bitcoin: More ideology than trustworthy currency

Bitcoins funktionieren wie Falschgeld

In Search of a Stable Electronic Currency (Robert S. Shiller)

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