Von Ralf Keuper

Der Vergleich erscheint weit hergeholt: Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Kleidungsstil und dem Denkstil, d.h. überträgt sich die Art der Kleidung auf das Denken oder umgekehrt?

Kann also derjenige, der die elegantesten Kleider trägt, auch auf die schönsten Gedankengänge verweisen?

Schön wär’s – manchmal.

Die Zahl der Philosophen und Denker, die so gut wie gar nicht auf ihr äußeres Erscheinungsbild achteten, dürfte die mit einem ausgeprägten Sinn für Garderobe deutlich übersteigen.

Legendär sind Diogenes und Plotin, die jeglichem Luxus ablehnten. Aber auch die Stoiker legten auf äußeren Prunk keinen Wert. Anders verhielt es sich bei den Epikureern.

Allerdings müssen Kleidungs- und Denkstil kein unversöhnlicher Widerspruch sein. Jedenfalls legt ein Interview aus dem Jahr 2008 diesen Gedanken nahe. Darin erläuterte der Modedesigner Jeremy Hackett das Wesen des englischen Stils.

Auf die Frage, was einen Gentleman ausmache, gab Hackett zur Antwort:

Ich mag die klassische, schlichte Art, mit der sich Gentlemen kleiden. Sie interessieren sich für Mode, aber sie beschäftigen sich nicht übermäßig damit. Es gibt diese Anekdote, wonach einer unserer Premierminister, ich erinnere leider nicht mehr, welcher es war, einmal an einem Parlamentsmitglied im St. Jame’s Palace vorbeilief, ihn taxierte und zu seinem Assistenten sagte: „Das ist kein Gentleman. Dafür ist er zu gut angezogen.“

Woran man erkenne, wenn jemand zu gut angezogen für einen Gentleman sei, gab Hackett zu Protokoll:

Wenn ein Mann zu viele neue Sachen auf einmal trägt. Es kommt auf den Mix an. Wer ein neues Jackett hat, der sollte es nicht mit einem neuen Hemd, einer neuen Krawatte und neuen Schuhen tragen. Es geht darum, neue Stücke in die Garderobe zu integrieren. Das ist auch eine Frage der Haltung: Man zieht Kleidung nicht einfach nur an, man muss sie ausfüllen. Und Männer fühlen sich einfach wohl in Dingen, die sie schon länger haben, oder? Wenn ich ausschließlich neue Sachen trage, dann fühle ich mich nicht angezogen, sondern verkleidet. Die Hose, die ich heute trage, ist zum Beispiel zehn Jahre alt, und mein Sakko so ungefähr fünf, ich trage heute überhaupt nichts Neues.

So könnte man es auch mit den verschiedenen Denkmoden halten.  Was sich bewährt hat, wird weiter getragen, was neu ist, wird – vorübergehend – in die Garderobe aufgenommen, wo das neue Denkkleid, die neue Denktracht die Chance auf einen Stammplatz bekommt. Neue Gedanken sollten einen demzufolge anziehen, und nicht verkleiden – auf dass es nicht wie bei Andersen heisst: Der Kaiser ist nackt!

Besonders schön hat Thomas Steinfeld („Spätsommer der Lässigkeit“ in der SZ vom 10. 07.2014) vor einiger Zeit den Stil beschrieben, den Giorgio Armani in die (Männer-)Mode einführt hat:

Giorgio Armani entwirft Kleider, die Falten bekommen, ohne zu welken.

Denkfiguren, die Falten bekommen, ohne zu welken.

Auch was die Frage der altersgerechten Kleidung gibt Hackett folgenden Rat:

Man sollte sich immer seinem Alter entsprechend kleiden. Damit meine ich nicht, dass man alt aussehen soll. Aber man sollte nicht versuchen einer Generation nachzueifern, zu der man keine Verbindung hat. Manchmal sehe ich Männer, die in extrem schmalen Anzügen vor mir herlaufen, und dann drehen sie sich um, haben faltige Gesichter, kaum Haare und stellen sich als eindeutig zu alt für solche Kleidung heraus. Das wirkt einfach nur traurig.

Was würde das für den Denkstil bedeuten? Was ist altersgemäßes Denken? Konservativ? Gesetzt? Was wäre das Denken einer Generation, zu der man keinen direkten Bezug hat? Jugendlich, Frisch, Spontan?

Das wäre zu schwarz-weiß gedacht. Was für den Kleidungsstil gilt, muss daher nicht immer für den Denkstil zutreffen. Alten Denkern lassen sich häufig erstaunlich frische Gedanken entnehmen, aktuell angesagte überraschen dagegen nicht selten mit rückwärtsgewandten Sichtweisen.

Der englische Stil hat daher einiges zu bieten – nicht nur für die Mode.

Weitere Informationen:

Wie sich große Denker kleiden

Wieso Tommy Hilfiger zum Behalten alter Mode rät

 

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