Gibt nicht auch der Bildhauer ein Zeugnis von Verehrung, wenn er den großzügigen Charakter der Formen, die er studiert, wahrnimmt, wenn er aus dem Durcheinander flüchtiger Linien den ewigen Typus eines jeden Wesens herauszuarbeiten weiss, wenn er sogar im Schoß der Göttlichkeit die unveränderlichen Vorbilder zu erkennen scheint, wonach alle Kreaturen geschaffen sind? Betrachten Sie zum Beispiel die Meisterwerke der ägyptischen Bildhauerkunst, menschliche Figuren oder Tiere, und sagen Sie dann selbst, ob die Betonung der Hauptkonturen nicht den sinnenverwirrenden Eindruck einer heiligen Hymne gibt.
Jeder Künstler, der die Gabe hat, die Formen zu verallgemeinern, das heisst ihre Konsequenzen herauszuarbeiten, ohne ihnen ihre lebendige Realität zu nehmen, ruft dasselbe religiöse Gefühl bevor; denn er vermittelt uns den hehren Schauder, den er selbst vor den unsterblichen Wahrheiten erfahren hat.
Quelle: Rodin. Die Kunst