Im Erkennen des Menschen spielt sich Analoges ab, wie in seinem Können. Kognitive Leistungen verschiedener Art, alle jene, aus deren Integration das begriffliche Denken einst erwuchs, und viele neue besonderer Art treten miteinander in eine vielfache Wechselwirkung, die in engerem Sinn als die, in der Manfred Eigen das Weltgeschehen als solches bezeichnet, ein Spiel genannt zu werden verdient. Getrieben von der Neugier, von der Hauptmotivation des Spiels in seinem ursprünglichsten und speziellsten Sinn, die schon bei Tieren eine wesentliche Rolle spielt und die entscheidend zur Entstehung des begrifflichen Denkens beigetragen hat, erblüht im denkenden Menschen ein Spiel der Gedanken, das merkwürdig ähnlichen Regeln gehorcht wie das große Spiel der Wechselwirkungen, das den Menschen geschaffen hat. So schöpferisch wie in diesem wirken Zufall und Gesetz auch in dem Spiel des Erkenntnisstrebens zusammen, die Regeln, denen es folgt, sind ähnlich. Das Prinzip von Versuch und Irrtum, das im stammesgeschichtlichen Werden die Form von Erbänderung und Selektion annimmt, findet sich auf der höheren Integrationsebene des menschlichen Erkenntnisstrebens als Hypothesenbildung und Falsifikation wieder. Vor allem aber ist der Modus, in dem neue Gedanken, neue Erkenntnisse entstehen, prinzipiell identisch mit jenem, der im Evolutionsgeschehen Niedagewesenes entstehen lässt. Fast immer entsteht die neue Erkenntnis daraus, dass zwei existente Gedankengänge zu einer Einheit integriert werden, die neue Systemeigenschaften besitzt. Die Ausdrücke der gewachsenen Sprache, wie “Gedankenblitz” oder “es ist mir ein Licht aufgegangen”, sind, wie ich nachträglich festgestellt habe, meinem mühsam gesuchten Terminus “Fulguration” sehr ähnlich.

Im Geist des Menschen spielen sich also echt schöpferische Vorgänge ab, die genausowenig final determiniert sind wie die im kosmischen Geschehen sich vollziehenden. Nichts von “finaler Determination”! Finis bedeutet Ende, determinare beendigen, jedes Ende aber würde Verzweiflung sein!

Das Schöpferische im Menschengeist ist nicht nur wesensverwandt mit dem großen organischen Werden, es ist ein spezieller Fall von ihm, doch erhebt es sich auf eine kategorial höhere Ebene dadurch, dass es reflektiert wird. “Im Menschen wird sich die Evolution ihrer selbst bewusst” – so lautet die schöne Formulierung, die Hans Tuppy für diese Erkenntnis gefunden hat. Erst mit diesem Bewusstsein erwacht, als Vorrecht und Verpflichtung des Menschen, die Sinngebung: Es entsteht für ihn die Welt der Werte. Gleichzeitig aber bürdet sich auf seine Schultern die Last der Verantwortung, nicht nur für seine Spezies oder gar für seine Person, sondern für das gesamte organische Geschehen im Gesamtbereich seiner gefährlich groß gewordenen Macht.

Quelle: Die Vorstellung einer zweckgerichteten Ordnung, in: Das Wirkungsgefüge der Natur und das Schicksal des Menschen

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