In Athen kennt man auch keinen auf das Privatleben der Bürger zielenden politisch-gesellschaftlichen Konformitätsdruck – anders als im Kriegsstaat Sparta. Das Erziehungswesen ist frei von einseitiger Ausrichtung auf militärischen Drill; man setzt vielmehr bewusst auf natürlichen Mut und das aktive Denken und Handeln der Bürgersoldaten. Die reiche Festkultur Athens bietet die dazu notwendigen und wirksamen Erholungspausen von der harten Arbeit und nimmt den bedrückenden Mißmut aus dem Alltag. Im öffentlichen und kulturellen Leben der Stadt, der “Bildungsstätte von Hellas”, soll möglichst jeder Bürger imstande sein, “sich als selbständige Persönlichkeit mit Anmut und geistiger Beweglichkeit darzustellen”; der Glaube an die Kraft der Demokratie gipfelt hier in einer stolzen Zuversicht, dass mit der freiheitlichen bürgerlichen Ordnung in Athen wesentliche Voraussetzungen dafür erbracht worden sind, um eine ganze Polisgesellschaft zu höchsten menschlichen Leistungen zu befähigen. Eine berühmte Formulierung, die wortwörtlich auf Perikles selbst zurückgehen dürfte, lautet: “Wir lieben das Schöne, bei (privater) Schlichtheit; wir lieben Bildung und Weisheit, ohne darüber weichlich und unentschlossen zu werden”.
Quelle: Gustav Adolf Lehmann – Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen