Von Ralf Keuper

Horst Hammitzsch zählte in Deutschland zu den besten Kennern der japanischen Kulturgeschichte. Zu seinen schönsten Werken gehört ZEN in der Kunst des Tee-Weges. In seinem Aufsatz Zum Begriff “Weg” im Rahmen der japanischen Künste beschreibt Hammitzsch die verschiedenen Stadien der japanischen Kultur anhand der Stellung, welche die Lehre vom Weg darin einnahm:

Auffällig ist hierbei, daß wir zunächst den Begriff nur im Sinne einer handwerklichen oder geistigen Kunstfertigkeit und deren Entwicklung verwendet finden. Wenn zum Beispiel die Gelehrten die Wissenschaft „zum Wege machen”, so bedeutet dies zunächst nur, daß sie die Wissenschaft ausüben. Ein Bewußtsein bestimmter ethischer oder moralischer Werte läßt sich noch nicht feststellen. Aber das Bild ändert sich bald. Der festländische Einfluß wird stärker, die Beschäftigung mit den chinesischen Geistesgütern intensiver. So erfahren auch die bereits vorhandenen WEGE eine geistige Unterbauung, die Gedanken mannigfachster Prägung aufzuzeigen beginnt. Konfuzianismus, Taoismus, Buddhismus haben hieran eben-so einen Anteil wie die Lehre vom Yin und Yang. Die Lehre von den fünf menschlichen Beziehungen, von den fünf Kardinaltugenden, vom himmlischen Auftrag, vom Wege der Weisen und Heiligen, von der Ordnung des Universums — sie alle tragen mit bei, dem Begriff WEG einen für den Japaner neuen Inhalt zu geben.

Ein wichtiger Entwicklungsschritt war die Heian-Zeit, in der die Kunst des Weges neue Gebiete erschloss:

Hier hatte der staatlich-politische Wesenszug dem kulturellen Platz gemacht. Alle Studien und Künste werden jetzt als WEG bezeichnet. Der WEG erlebt also eine Differenzierung in der Art, daß eine jede Kunstfertigkeit nach einem ihren Zielen ureigenen WEG strebt, der für das Praktizieren der jeweiligen Kunst wie auch für das Theoretisieren über diese gilt. Man hat den Begriff WEG jetzt als einen festen Bestandteil des praktischen und geistigen Wirkens zu werten. Daneben finden wir, die Gesamtheit der Künste einschließend, Ausdrücke wie „alle Wege insgesamt” (shodô [6], yorozu no michi).

Um die Lehre vom Weg von Generation zu Generation weiterzugeben gewann die Traditionspflege an Bedeutung.

Der Tradition eines WEGES oder der jeweilige Weg als Tradition weist seine eigene Form auf, die von den Formen anderer WEGE verschieden ist. Tradition im japanischen Sinne ist nicht das Weitergeben der erreichten Ergebnisse eines Meisters und das Weiterbauen auf diesen Ergebnissen. Tradieren heißt, den Meister in seiner Ganzheit weitergeben. Und diese Ganzheit muß „nachgelebt” werden. Was also tradiert wird, das ist nicht allein das bereits Ausgereifte eines WEGES, auch das Nicht-Reife, das noch Wachsende ist es. Denn dieses ist für die Ganzheit des WEGES von gleicher Wichtigkeit, weil sonst der Schüler, der Lernende, der selbst die Reife noch nicht besitzt, die Stufen, welche zu dieser hinanführen, nicht finden kann.

Während seiner Lehrzeit gibt der Schüler jeglichen Anspruch auf eigene Schöpfung, auf Freiheit des Ausdrucks auf:

Ein Schüler muß sich also zunächst streng an die Tradition halten. Es wird ihm auf diesem Wege keine, aber auch nicht die kleinste Freiheit gestattet. Seine Aufgabe besteht darin, das Überlieferte in seiner Ganzheit zu erfassen. Er wird gezwungen, sich jeglicher Willkür bei seiner Arbeit zu enthalten. Nur auf diese Weise ist es ihm möglich, auf seinem jeweiligen Studiengebiet schließlich zu eigenen Leistungen zu gelangen. Hat der Schüler auf dem WEGE seine Willkür bezwungen, sein Selbst geschult, dann kommt er schließlich dahin, daß er an eigne Schöpfungen denken kann. Er besitzt dann die Sicherheit, zu entscheiden, ob diese einen Ewigkeitswert (makoto) haben. Kann er eine solche Unterscheidung fällen, dann wird sich sein Künstlertum von selbst in den rechten Bahnen entfalten, dann hat er die Reife eines Meisters. Jetzt ist es soweit, daß er auch reif ist für die letzten Feinheiten des WEGES, und diese dann als mündliche Lehre (kuden) oder als Geheimlehre (hidenr[7]) überliefert erhält.

Erst wenn der Schüler die Lehre verinnerlicht hat, kann er dazu übergehen, selbst schöpferisch zu werden:

So erhält der WEG von der Kamakura-Zeit an immer mehr die Aufgabe, die Erfahrungswelt gegenwärtiger und verstorbener Meister in ihrer letzten Essenz zu wahren und im Sinne eines ishin-denshin weiterzugeben und dabei die Tradition frei zu halten von allem Unechten, Verfälschten durch eine nach einer jeden Seite hin eindeutig festgelegte Form des Praktizierens. Er nimmt denjenigen, der auf ihn dahinschreiten möchte, im Anfang jegliche Freiheit und fordert strengste Selbstzucht bis das Ziel handwerklichen Könnens der jeweiligen Kunst, welches die Voraussetzung jedweder schöpferischer Gestaltung ist, erreicht worden ist. Dann läßt er dem nun auch geistig Gereiften die letzten Lehren empfangen und gibt ihm eine Freiheit zurück, die größer ist als die der kleinen persönlichen Willkür, die Freiheit vom Ich.

So weit das Ideal.

An dieser Stelle sollen die Risiken der ZEN-Lehre, d.h. die vollständige Aufgabe des Ich, nicht unerwähnt bleiben. Wie die Beispiele von Hammitzsch, Herrigel, Dürckheim und Suzuki zeigen, macht diese Haltung empfänglich für totalitäre Ideologien, ein Punkt, auf den Ludger Lütkehaus in Krieg ist mitfühlendes Töten und Victor & Victoria Trimondi in Wie Zen den Faschismus veränderte – Zu den Zen-Vorträgen von Willigis Jäger und Michael von Brück zu Recht hinweisen.

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